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Norbert MORET

Norbert MORET

NORBERT MORET (1921–1998)

Norbert Moret wird am 20. November 1921 in Ménières im Kanton Freiburg in der Schweiz geboren. Im Flachland der Broye werden Getreide, Mais und Tabak angebaut. Die Wolken spielen wie fliegende Drachen, Pflüge ziehen tiefe Wunden durch die Äcker, in den Schatten kündigen sich funkelnd kommende Visionen an – die ersten Lebensjahre auf dem Lande werden Morets Inspiration nähren, denn, wie er selbst sagt, habe er stets versucht, „die zugleich traumhaften und realen Dinge der Kindheit wiederzufinden, die verwunschenen Wälder, den geheimnisvollen und unheimlichen Nebel, die heftigen Gewitter, das Plätschern des Bachs entlang des Gartens …“.
Tatsächlich bricht in seinen Werken immer ein tiefer Zwiespalt (gleichsam ein zwischen zwei Ewigkeiten taumelndes Streben) zwischen Verzauberung und Bedrohung hervor – die dunklen Rätsel des Unbewussten und die Kontrolle durch die Vernunft, Eusebius und Florestan –, aber auch die Synthese, die sich zwangsläufig daraus ergeben muss. „Wie das Hin und Her eines Pendels zwischen einem Bettler, dem hoffnungslosen Menschen, und Gott, dem hoffnungsvollen Menschen“, schreibt der Humanist Norbert Moret. Die Natur erschaudert nicht vom Engelssäuseln, von plätschernden Bächlein, an deren Ufern die Schatten von Charlotte, Virginie oder Paul herumhuschen; nichts hat sie von einem bunten romantischen Vielerlei, geschweige denn von einer „Sinfonie in Weiß-Dur“ der Madame Swann. Die Natur als Keimzelle metaphysischer und mystischer Erfahrung, als Schauplatz des Realen, wo Verdinglichtes zerbröckelt, hat weniger mit einer malerischen Darstellung akkurater Wiesen, Hohlwege und Berglein zu tun als mit einer gleichsam seismografischen Aufzeichnung der Erschütterungen des Komponisten und der Lawinen in seinem Innern: „Wenn ich meine Musik schreibe, rechne ich mit meinen Phantomen und Phantasmen ab“.
Damit beginnt er ab dem Moment, als ihm klar wird, dass er Komponist werden will, nämlich an einem Juli-Nachmittag des Jahres 1938, als er Bachs unübertreffliche Toccata und Fuge in d-Moll hört. Er „versucht sich an einigen Kompositionen“, Liedern in der Art von Henri Duparc (auf Texte von Baudelaire, Mallarmé und Verlaine), und macht sein Abitur auf einem altsprachlichen Gymnasium. Da bei der Musikausbildung in Freiburg „seine Vorstellungen von schöpferischer Arbeit ohne jede Resonanz bleiben“, beschließt er an das Pariser Conservatoire zu gehen (1948–1950), wo er Analyse bei Olivier Messiaen und Komposition bei Honegger studiert und René Leibowitz ihn in die Dodekaphonie einführt. (Einige stilistisch unentschiedene Werke tragen Spuren davon, doch „nach wenigen Monaten gab ich diesen Weg auf, da er mir letzten Endes als eine Sackgasse erschienen war“.) Die Lust, „etwas Anderes kennenzulernen“, treibt ihn zur Spielzeit 1950/51 nach Wien, und er nimmt an den Proben der Wiener Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler teil, dessen „seltene Begabung für Klangorganisation“ Norbert Moret sehr schätzt.
Die Rückkehr des begabten Künstlers mit dem hervorragenden Werdegang in die Heimat ist ein Schock und äußerst schwierig, zumal ihm mit Groll und Neid begegnet wird. Er muss eine größer werdende Familie ernähren, wird Kantor und sieht sich gezwungen, als Lehrer an der staatlichen Knaben-Sekundarschule in Freiburg zu arbeiten. Bis 1965, dem Jahr seiner Berufung zum Professor für Instrumentalmusik an der pädagogischen Hochschule (eine Tätigkeit, die er bis 1982 innehat), dominieren Reflexionen, Zweifel, Grübeleien, ehe es zum späten Durchbruch kommt. „Ich wollte nicht bekannt sein, ich wollte ich selbst sein“, wird er später sagen. Nun kann er seinem Wunsch folgen und schreibt mehrere Kompositionen. 1974 stellen sich die ersten Erfolge ein: Zum ersten Mal wird ein Instrumentalstück uraufgeführt, und Germes en éveil, ein Triptychon für Sopran, gemischten Chor, Flöte und zwei Schlagzeuger, wird mit Beifall aufgenommen. Moret und ein Publikum hören zum ersten Mal etwas von Moret, der inzwischen über fünfzig ist! Es folgen weitere Kompositionen, die allesamt den Hunger seiner Gespenster ein wenig stillen und zugleich die Extreme wiedergeben, von denen weiter oben die Rede war. Darunter Gastlosen, wo „eine echte Märchenwelt“ zusammenprallt mit dem „Tod, der demjenigen bevorsteht, der auf ihn hereinfällt“; Couleurs de temps changées, wo das häufig wiederholte Wort „temps“ für Zeit hypostasiert wird und „Wahnsinn“ oder „Vereinzelung in der grünen Nacht“ zur Folge hat; Hymnes de silence, die erste großangelegte Komposition, wo sich leicht wie Schnee rieselnde stille Momente mit schäumende Eruptionen der Schlaginstrumente abwechseln; Mendiant du ciel bleu, ein von den eingesetzten Mitteln her gigantisches Werk mit dem vielsagenden Untertitel „Trois visions pour exorciser l’homme“ – „Drei Visionen, um dem Menschen den Teufel auszutreiben“ und seinen grässlichen Traum, das Leben; das Meisterwerk Tragiques führt seine drei Lieblingsthemen vor: das Los der Menschheit, Träume und Liebeslieder; ein Cellokonzert, entstanden im Auftrag des Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, dem das Werk neben Paul Sacher gewidmet ist; oder auch En rêve, ein Konzert für Violine und Kammerorchester, das er für Anne-Sophie Mutter komponierte, die auch seine Premiere spielte. – Nun ist der Freiburger Komponist international berühmt.
Norbert Moret stirbt am 17. November 1998 in einem stillen Gesang der Freude und der Hoffnung.


Jean-Noël von der Weid

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Werke, die komponiert wurden von Norbert MORET

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Diskografie

Concerto pour violoncelle
Collegium Musicum Zurich
Dir. : Paul Sacher
Vlc : Mstislav Rostropovitch
CD Erato 2292-45530-2 ou Ex Libris CD6103 ou Tel 2292 45 530- 2ZK

”En rêve” - Concerto pour violon
Boston Symphony Orchestra
Dir : Seiji Ozawa
Sol : Anne-Sophie Mutter
CD DG 431 626-2

Double concerto pour violon et violoncelle
Collegium Musicum Zurich
Dir : Paul Sacher
Sol : Romana et Luciano Pezzani
CD Grammont CTS-P 23-2

Hymnes de silence
Basler Sinfonie Orcheste
Dir : Paul Sacher
Sol : Heine Kuehner
CD Erato 2292-45530-2 ou Ex Libris CD6103 ou Tel 2292 45 530- 2ZK

Tragiques
Orchestre de la Suisse Romande
Dir : Horst Stein
CD Grammont CTS-P 23-2

Trois pièces
Orchestre de chambre de Lausanne
Dir : Laurence Foster
CD Grammont CTS-P 23-2